FKK in Stuttgart

Ohne dass der Zwickel zwackt

Von Andrea Jenewein 02. September 2012 - 12:21 Uhr

Freikörperkultur in Stuttgart: Menschen im Adamskostüm und ihr kleines Stückchen vom Paradies.

Stuttgart - Schon immer gab es Menschen, denen Nacktheit ein Dorn im Auge war. So auch vor 80 Jahren dem Berliner Jurist Franz Bracht. Der Beamte untersagte 1932 am Ende der Freibadsaison per Notverordnung nicht nur das „öffentliche Nacktbaden“, sondern auch das „Baden in anstößiger ­Badekleidung“.

Nur noch solche Badeanzüge und -hosen fanden fortan vor dem Gesetz Gnade, welche die Scham in ausreichend züchtigem Maße bedeckten und darüber hinaus, so die Verordnung, mit dem „Zwickel“ versehen waren: einem Textilfetzen, aufzunähen direkt auf die Badekleidung – und zwar genau im männlichen und weiblichen Schritt.

Dabei badeten die Menschen in weiten Teilen Mitteleuropas bis ins 18. Jahrhundert hinein in Flüssen und Seen nackt, wenn auch oft nach Geschlechtern getrennt. Erst im späten 18. Jahrhundert begann die Tabuisierung der öffentlichen Nacktheit.

Doch bereits Bracht wurde zum Gespött seiner Zeitgenossen, und die Freikörperkultur hat so bis heute ihre Anhänger. Auch Elli Beron (59) liebt es, ihre Freizeit zu genießen, ohne dass der Zwickel zwackt. Völlig hüllen- und vor allem zwang- und schamlos sitzt sie am Kaffeetisch in der Anlage des Bunds für freie Lebensgestaltung Stuttgart e. V. (BffL) in Degerloch und isst ein Stück Käsekuchen. Auch das tut sie vollkommen unbekümmert. „Viele denken, sie können sich doch nicht nackig zeigen, wenn sie ein wenig Speck haben – aber das ist Unsinn. Der fällt im Bikini viel mehr auf, denn das Stück Stoff zwackt dann“, sagt die zweite Vorsitzende des BffL.

„Bewegung ist uns wichtig – unsere Mitglieder sollen nicht nur faul in den Sonnenstühlen liegen“

Womit wir wieder beim Zwacken wären. Es gibt jedoch freilich noch andere Gründe, die Kleider abzulegen. „Die Freikörperkultur beruht auf dem Gedanken, ein Leben in Harmonie mit der Natur und Umwelt und in freier Bewegung zu führen“, erklärt Beron. Dazu gehöre eben auch, sich dem Zwang der Kleidung zu entledigen. Und das sei heute wichtiger denn je: „Wir stehen alle unter dem Markenzwang – hier im Verein gibt es keine Unterscheidung mehr. Wenn wir die Kleidung ablegen, sind wir alle gleich.“

Mit Beron sitzen vor allem Senioren am Tisch, aber auch eine junge Frau sowie ein Paar mittleren Alters, ein „Neuzugang“ wie Beron sagt. Die Zusammensetzung des Kaffeekränzchens entspricht der Altersstruktur des Bffl, den es bereits seit 1926 gibt, und der somit einer der ältesten – und größten – FKK-Vereine in Deutschland ist. „Der Altersschnitt liegt bei 62 Jahren“, sagt Beron. Das läge vor allem daran, dass Senioren mehr Zeit als Berufstätige haben, um das Angebot des Vereins zu nutzen.

Das vor allem ein großes Sportangebot umfasst. „Bewegung ist uns wichtig – unsere Mitglieder sollen nicht nur faul in den Sonnenstühlen liegen“, so Beron. Oder Kuchen essen. Darum bietet der Verein Bogenschießen, Tischtennis, Gymnastik und Schwimmen an, zudem gibt es einen Boule- und einen Beachvolleyball-Platz. In einigen Disziplinen nehmen die Mitglieder an den deutschen Meisterschaften teil, die bundesweit für alle FKK-Vereine angeboten werden.

Doch auch über den Sport hinaus bietet der Verein Aktivitäten an: Neben zahlreichen Festen wie der Sonnenwendfeier gibt es seit genau vierzig Jahren im Sommer auch immer eine Kulturreise. Fünf Tage geht es mit dem Bus in interessante Städte im­ In- und angrenzenden Ausland.